Ich-Sein in einer Welt voller Widersprüche. Interview mit Philosophin Ariadne von Schirach, Keynote beim SpaCamp 2019
Als Philosophin hast du sicher auch einen Lieblingsphilosophen. Wer ist das und was beindruckt dich an ihm oder an ihr?
Das ist wie mit den Blumen – jede hat ihre eigene Schönheit. Ich schätze den griechischen Philosophen der Freude, Epikur, mit seinen Ideen maßvollen Genießens und wahrer Freundschaft. Die große Hannah Arendt, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs sagte, das eigene Leben zu fordern sei die wahre Revolte. Doch Sören Kierkegaard, der Begründer der existenzialistischen Philosophie, ist mir besonders lieb. Er ist sozusagen die Pfingstrose in meinem Lebensstrauß.
Du hast bei unserem Telefonat gesagt, dass du selbst großer Spa-Fan bist. Was bedeutet Spa für dich persönlich und wie kommst du zur Ruhe?
Spa verstehe ich ganz oldschool: „Sanus per aquam = gesund durch Wasser“.
Heiße Quellen und Thermalbäder sind für mich eine Möglichkeit, mich zu erden und von alten Energien zu reinigen. Aber auch ein paar Stunden in der Sauna, immer gerne mit eiskaltem Abkühlbecken, sind ein probater und viel genutzter Weg von da (müde, gestresst, fremd im eigenen Körper) nach hier (entspannt, gelockert, wieder bei mir).
Dein aktuelles Buch lautet „Die psychotische Gesellschaft“. 2016 erschien dein Bestseller „Du sollst nicht funktionieren“. Welchen Beitrag kann deiner Meinung nach die Spa-Hotellerie leisten und was ist hier ihre Verantwortung?
Entspannung hat ja viele Facetten. Das eine ist die Rückkehr zum eigenen Körpergefühl durch Saunen und Schwimmen. Das andere ist die Erfahrung, wirklich mal nichts zu müssen, einfach nur da sein zu dürfen, genau so, wie man gerade ist. Hier sind bequeme Liegen und ruhige Plätze, die zum Verweilen auffordern, ein echter Beitrag zur allgemeinen Gesundheit (lacht). Aber auch für die Spa-Hotellerie gilt:
Wir werden lieber verführt als geführt und nichts lädt überzeugender zum Nichtstun ein als Natur, Schönheit und Großzügigkeit.
Du versuchst stets das europäische und asiatische Denken miteinander zu versöhnen. Das ist für die Spa-Welt unglaublich spannend. Was können wir hier in Europa von Asien lernen?
Viele asiatische Kulturen haben einen gediegenen und raffinierten Umgang mit Wellness – vom Onsen, dem japanischen Wasserbad, das dort selbst in Mittelklassehotels Standard ist, über ausgefeilte Massagesessel hin zu bequemer Kleidung, die vielerorts ganz selbstverständlich zur Verfügung gestellt wird. Aber auch wir Europäer haben eine lange Tradition der Entspannung, von Kneipps Wechselbädern zu Hildegard von Bingens Kräuterweisheit, vom Heilfasten über das „Lob der Faulheit“ von Gotthold Ephraim Lessing.
Doch vor allem gibt es auch in unserem Kontinent jahrtausendealte Orte der Entspannung, von Baden-Baden über Bad Cannstatt in Stuttgart hin zu den Poseidon-Gärten in Ischia, wo schon meine Großmutter sich gewässert hat.
Worauf dürfen sich die SpaCamp-Teilnehmer*innen bei deiner Keynote zum Thema „Zwischen Lebenskunst und Selbstoptimierung – Ich-Sein in einer Welt voller Widersprüche“ jetzt schon freuen?
Auf eine Einladung zum gemeinsamen Nachdenken übers Menschsein. Ein Nachdenken, das uns alle angeht und zu dem wir alle etwas beizutragen haben. Im Zentrum steht die Einsicht, dass wir Menschen alle widersprüchliche Geschöpfe sind, die immer wieder neu zwischen Gegensätzen – Körper und Innenwelt, Gefühl und Verstand usw. – vermitteln müssen. Dabei können wir das Gehörte auch gleich umsetzen, indem wir die geistigen Anregungen dieses Vortrags durch ausgedehntes Nichtstun und körperliche Genüsse wie Saunieren, Essen oder Spazieren wieder ins Gleichgewicht bringen.
Vielen Dank, Ariadne von Schirach, für die ersten spannenden Einblicke in deine Keynote. Auf Weiteres freuen wir uns dann beim SpaCamp 2019!
Die Bücher von Ariadne von Schirach sind im Klett-Cotta-Verlag erschienen.