Das Ungeheuer von Well-Ness? Rezension des Buches: „Das Wellness Syndrom“
In ihrem 191 Seiten umfassenden Buch „Das Wellness Syndrom„ kennzeichnen die Organisationstheoretiker Carl Cederström und André Spicer gesellschaftliche Phänomene, die die Selbst- und Fremdbestimmung innerhalb des Gesundheitsmarkts beurteilen. Schwerpunkt bildet dabei die Kennzeichnung von Symptomen innerhalb eines institutionalisierten Wellnessgedankens.
Die Definition – Wellness als Syndrom?
Die Einordnung geschieht durch die beiden Begriffe Wellness und Syndrom. Über die Beschreibung des „Campus Wellness Contract“ der University of Massachusetts wird gezeigt, wie Wellness definiert und verordnet werden kann. In dem Vertrag verpflichtet sich der Studierende zu einem Lebensstil, der darauf ausgerichtet ist, Körper, Geist und Seele zu verbessern. Damit weist der Vertrag auf Dimensionen hin, die weitestgehend dem High Level Wellness von Donald Ardell (1977) entsprechen.
Im zweiten Schritt wird der Begriff Syndrom über das Oxford English Dictionary beschrieben. Dieses besagt, dass ein Syndrom dann vorliegt, wenn verschiedene pathologische Symptome durchgängig zusammen auftreten. Deutlich machen die beiden Autoren das Auftreten solcher Symptome durch den oben genannten Wellnessvertrag.
Ein Studierender ist nämlich ihren Vorstellungen nach jemand, der durch das Ausleben von Lastern, Drogen etc. das Denken oder gedankliche Risiken eingeht und damit seine Persönlichkeit ausloten muss, um seine geistigen Fähigkeiten zu nutzen. Wohingegen der unterzeichnete Vertrag den Studierenden dazu verpflichtet, auf all diese Exzesse mit einem substanzfreien Lebensstil zu verzichten. Durch diese Art Moralverpflichtung sehen die Autoren die Gefahr, dass die Entwicklung der Individualität und die Intelligenz der Studierenden eingeschränkt wird. Außerdem kommt es zu den Symptomen Angst und Schuld!
Um nun das Spezifische des grassierenden Wellness-Syndrom zu beschreiben, werden typische Phänomene aufgezeigt. Und bevor dies geschieht, weisen die Autoren darauf hin, dass es ihnen nicht um „Wellness per se“ geht, sondern wie Wellness zu einer Ideologie wurde. Hier an dieser Stelle werden beispielhafte Beschreibungen herangezogen, um zu verdeutlichen, dass Wellnessprodukte über eine überzogene Marketingstrategie oder einen falschen Kundenkanal zu einer Art „Bio-Moral“ konvertieren und so zu gesellschaftlichen Symptomen werden, die zum Syndrom kumulieren.
Der perfekte Mensch – innen und außen!
Coaches, die ihren Therapieansatz auf der Idee des positiven Denkens begründen, setzen voraus, dass der Klient seine Potenziale nie ausschöpft und das einzige Hindernis auf dem Weg der Vervollkommnung er selbst sei. Der Coach stellt immer die richtigen Werkzeuge zur Verfügung und der Kunde muss nur in sich hineinschauen, um die Lösung für alle Probleme zu erkennen. Im Inneren liegt das Seligmachende: Mit unserem Bauchgefühl, über Achtsamkeitstraining für unser bewusstes Ich übersetzt, liegt die Wahrheit! Man muss es nur verstehen können. All jene, die das nicht können, scheitern an sich selbst. Ergo:
Jeder ist für seinen Burnout selbst verantwortlich.
Im Folgenden wird noch die zentrale Waffe gegen Unattraktivität deklariert: Das Abnehmen. Ob die Kampagne von J. Oliver gegen eine Fastfood Kette oder das sog. Underdog Fernsehen mit seinen Serien aus der Vorstadt. Inklusive der Reality-TV-Formate wie „The biggest loser“, die von jenen konsumiert werden, die oftmals selbst in der Abnehmfalle stecken. Stigmatisiert über eine so pervertierte Wellness-Moral sind Dicke krank!
Die Glücksdoktrin
Was sollen wir jetzt machen, da wir glücklich sind?
Beginnend mit einem Zitat von Estragon aus Becketts „Warten auf Godot“, versuchen die Autoren, über den roten Faden der glücksfordernden (Quasi-)Psychologie von Dale Carnegie (How to find friends 1936) über Martin Seeligmann (Positive Psychologie 1997) bis zu Rhonda Byrnes: The Secret (2009) aufzuzeigen, dass es unter zu Hilfenahme dieser Denkrichtung ein Einfaches sei, das Dogma des Glücklichseins auf die innere Einstellung des Wünschens zurück zu führen. Hier werfen die Autoren den Vertretern dieser Schulen vor, dass die Hypothesenformulierung: „Es kann sein…“, nicht zur objektiven Überprüfbarkeit beiträgt.
Kann Wellness sogar krank machen?
Am Ende wird der Versuch unternommen, aufzuzeigen, dass es erstrebenswert ist, mehr Freude zu erfahren. Das Problem dabei aber ist, dass unser Lustprinzip, in Anlehnung an Sigmund Freud, das Vergnügen steuert, sprich mäßigt. Daraus resultieren dann gemäßigte Vergnügungen: „entkoffeinierter Kaffee, geschützter Sex, fettarme Schokolade, zuckerfreie Softdrinks und umweltfreundliche SUV’s. Es wäre nicht völlig überraschend, wenn Drogenkartelle gegenwärtig eine Sorte fair gehandeltes Kokain entwickeln“ (Cederström & Spicer, 2016, S. 166). Die auferlegte Reduktion des Vergnügens ist somit der Grund für chronischen Stress.
Fazit
Spätestens an diesem Zitat wird deutlich, wo die beiden Autoren zwischen einem Wellness-Syndrom als moralischem Imperativ einer Gesellschaft und dem Bewusstsein für ein selbstbestimmtest gesundes Leben nicht unterscheiden.
- In der Gesellschaft
- Im Marketing und in der Autonomie des Individuums
- In der Wellnessbranche
Zu 1.: Wer leistet sich in unserer Gesellschaft Wellness? Jener, der das Einkommen und damit auch die Bildung besitzt und daran glaubt, dass Gesundheit vom Lebensstil abhängt. Jemand, der auch bei der 5. Obst-Diät hofft, mit einem Minimum an Einsatz minus 25kg an Ertrag auszuschöpfen und beim Erklimmen einer Vibrationsplatte verzweifelt, nicht in die Ägide der Topmodels zu gelangen, ist noch kein Kunde eines Wellnessmarktes.
Zu 2.: Die Zeit hat gezeigt, dass die Wellness-Margarine nicht das Produkt ist, welches den Wellness-Markt beherrscht. Auch sind jene Selbstheilungsseminare nicht überbucht, die das Wünschen didaktisch und methodisch strukturiert aufarbeiten.
Eine Qualitätssicherung der auf dem Wellnessmarkt befindlichen Produkte, und zwar hinsichtlich ihrer objektiven Effekte oder zumindest intersubjektiven Befindlichkeiten im sozialwissenschaftlichen Sinne, sollte hier einen neuen Maßstab bilden.
Und weiterführend:
Eine gut geführte Marketingkampagne, bei der das Budget ausreichend groß ist, schafft es, vielleicht eine Mode zu initiieren. Wird damit aber nicht wirklich ein Bedürfnis abgedeckt, bleibt das Produkt eine Mode und etabliert sich nicht.
Es liegt an dem System von Handelnden in den Verbänden und Organisationen, dass die falschen Propheten erkannt werden. Neben der Autonomie des Individuums und dem rücksichtslos freien Gebrauch des Gehirns, ist es vor allem ein produktzentriertes Qualitätsmanagement, dass kennzeichnet, was funktioniert (Was eine Funktion besitzt!) und was nicht!